Wer auf das letzte Jahr zurückblickt, stellt fest: Mit Corona hat sich die Kommunikation auf allen politischen Ebenen stärker in den digitalen Raum verlagert. Wer auf die letzten beiden Jahrzehnte zurückblickt, weiß aber auch: Der Einzug digitaler Medien in das Alltagsgeschäft deutscher PolitikerInnen war ein überaus langwieriger Prozess. Und wenn man genau hinschaut, dann ist dieser Prozess heute noch längst nicht abgeschlossen. Das zeigt sich auch bei der Nutzung sozialer Medien, nur einem von vielen Bereichen digitaler politischer Kommunikation.
Blick zurück
Interessanterweise war es nicht das im Jahr 2002 gestartete LinkedIn, sondern das vier Jahre jüngere Twitter, das die Herzen deutscher PolitikerInnen nach und nach eroberte: Erst 140, seit 2017 dann 280 Zeichen, inzwischen lassen sich auch Bilder, Videos, GIFs und Umfragen einbinden. Alles in allem ist hier jedoch zu wenig Platz, um komplexe Inhalte zu vermitteln. Aber darum geht es ja auch nicht: Hier gilt es, Positionen zu platzieren, bei relevanten Themen schneller als die anderen zu sein, Aufmerksamkeit zu generieren und selbst im Gespräch zu bleiben.
Legendäre – wenn auch damals nicht unumstrittene – Beispiele sind die Aktivitäten der Bundestagsabgeordneten Julia Klöckner und Ulrich Kelber, die bei der Bundesversammlung im Jahr 2009 die Wiederwahl Horst Köhlers per Twitter ausplauderten, noch bevor es überhaupt vom Bundestagspräsidenten verkündet wurde. „Was die beiden können, das kann ich auch“, dachten sich viele ParlamentarierInnen und kürzten fortan ihre politischen Positionen auf knackige Tweets.
Seitdem ist die Anzahl twitternder PolitikerInnen gewachsen, auch wenn noch lange nicht alle dabei sind. 551 der 709 Mitglieder des Deutschen Bundestages senden Kurzmeldungen via Twitter in die Welt. Die meisten Zwitscherer finden sich übrigens in der FDP, gefolgt von den Grünen. Auf den letzten Plätzen liegen die Unionsfraktionen (pollytix strategic research, 2020). Ein Schelm, wer Böses dabei denkt…
Verschenktes Potenzial
Und was ist mit LinkedIn? Theoretisch eröffnen sich durch diesen Kanal endlich Freiräume für eine inhaltliche Diskussion – ja sogar so etwas wie eine Diskussionskultur. Mit einem persönlichen Profil lassen sich auch längere Artikel verfassen und publizieren. Dadurch schafft die Plattform den Raum für eine inhaltlich fundierte, sachliche politische Auseinandersetzung. Gleichzeitig pflegt die Community auf LinkedIn einen deutlich konstruktiveren Umgang miteinander als beispielsweise auf Facebook und Twitter. Hasskommentare unter Meinungsäußerungen gibt es eher selten.
Dennoch fremdeln die deutschen PolitikerInnen hier: Nur wenige BerufspolitikerInnen haben überhaupt einen LinkedIn-Account, geschweige denn einen mit nennenswerter Reichweite (gemessen an der Zahl der Follower). Die reichweitenstärksten gehören aktuell Gesundheitsminister Jens Spahn und – für den ein oder anderen vermutlich überraschender – Altkanzler Gerhard Schröder.
Auch andere Profile bekommen Zuwachs, darunter zum Beispiel die Mitglieder des Bundestages Roderich Kiesewetter (CDU) und Christian Lindner (FDP) (cocodibu, 2021). Insgesamt ist die Reichweite der wenigen Politikerprofile bei LinkedIn jedoch deutlich geringer als bei Twitter. Übrigens: Für Angela Merkel gibt es bei LinkedIn mehrere Profile. Der Haken: Keine der Damen ist Bundeskanzlerin…
In jedem Fall ist diese Zustandsbeschreibung keineswegs das Ende der Entwicklung. Denn Tatsache ist, dass die Bedeutung digitaler Kommunikation in den Public Affairs und damit auch für das politische Networking weiter zunehmen wird. Der Corona-bedingte Verlust von Präsenzplattformen beschleunigt diesen Prozess zudem.
Der richtige Mix
Umso wichtiger ist es für Unternehmen, die selbst digitale Kanäle für ihre politische Kommunikation nutzen, deren Wertigkeit im Instrumentenmix zu erkennen. Denn wer glaubt, dass Public Affairs in den nächsten Jahren ausschließlich im Internet stattfindet, der irrt. Zielgerichtete und – vor allem – authentische politische Kommunikation wie auch die Kontaktpflege mit politischen EntscheiderInnen wird auch noch in absehbarer Zeit nicht ohne den persönlichen Austausch funktionieren.
In der Public-Affairs-Umfrage der MSL Group (2020) geben 56 Prozent der Befragten InteressenvertreterInnen an, Social Media zur politischen Kontaktpflege zu nutzen. 87 Prozent von denjenigen, die Social Media nutzen, pflegen Ihre Kontakte mithilfe von Twitter. Zum Vergleich: Im Jahr 2011 waren es zehn Prozent. Ergebnis der Studie ist aber auch, dass nach wie vor das persönliche Treffen das mit Abstand beliebteste Instrument ist; gefolgt von weiteren Präsenzformaten wie Podiumsdiskussionen, eigenen Veranstaltungen und der Teilnahme an Parteitagen.
Was heißt das unterm Strich?
Digitale Kanäle helfen, Themen, Trends und Entwicklungen in Echtzeit zu verfolgen, den Stand aktueller politischer und gesellschaftlicher Diskussionen zu scannen, eigene Positionen zu streuen und Netzwerke von begrenzter Validität aufzubauen. Zur Festigung dieser Netzwerke und zur Durchsetzung klarer unternehmerischer Positionen im politischen Kontext werden persönliche Kontakte und Offline-Netzwerke auch weiterhin eine mitentscheidende Rolle spielen. Denn sie stehen für die Verbindlichkeit des gesprochenen Wortes, schaffen Nähe, ermöglichen Vertraulichkeit und legen damit die Grundlage für den Aufbau von Vertrauen. Kurzum: Gute Public Affairs-Arbeit ist und bleibt auf den richtigen Mix von Online und Offline angewiesen.
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