Sind wir mal ehrlich: Es ist manchmal verdammt schwierig, in Diskussionen nicht persönlich zu werden. Wer noch nie einen Streit über eine nicht ausgeräumte Spülmaschine zur Feststellung „du bist so faul“ eskalieren lassen hat, werfe den ersten Teller. Wir wissen, woran es liegt, dass wir so schnell die Sachebene verlassen, wenn wir uns angegriffen fühlen oder enttäuscht von unserem Gegenüber sind. Vier Seiten einer Nachricht etc. – Sie wissen was ich meine. Trotzdem können wir manchmal nicht aus unserer Haut.
Wer gibt schon gerne zu, dass ein anderer Standpunkt als der eigene in Anbetracht der Fakten berechtigt ist? Wir wollen unsere eigene Meinung vertreten und dabei vermeiden, schwach auszusehen. Vielleicht fühlen wir uns sogar bedroht, weil Kritik unsere Machtstellung ins Visier nimmt und hinterfragt, ob wir eine bestimmte Position überhaupt innehaben sollten.
Da kann es schon mal passieren, dass man reflexartig um sich schlägt. Beim Streit um die Spülmaschine ist das auch kein Problem, solange nicht irgendwann die Teller durch die Küche fliegen. Wenn beim Entgleiten einer Diskussion aber die breite Öffentlichkeit zusieht, wird es schwierig. Wenn es ein Paradebeispiel für das dauerhafte Verlassen der Sachebene in einem öffentlichen Diskurs gibt, ist es die Reaktion weiter Teile der deutschen Parteienlandschaft auf die Kritik sogenannter „junger Menschen“. Ob es nun um Artikel 13 oder die Klimakrise geht – die Generationen Y und Z haben in der letzten Zeit deutlich Position bezogen und dafür oft verbale Ohrfeigen kassiert.
Im Sinne der Redewendung „Wenn der Kuchen spricht, haben die Krümel zu schweigen“ haben viele etablierte Parteien bisher versucht, die Angriffe von Millennials abzuwehren oder einfach auszusitzen. Erfolglos.Statt auf die vorgebrachten Argumente auf den Demonstrationen und in Videos wie dem berühmten „Rezo-Video“ einzugehen und sie – falls möglich – auf Sachebene fundiert zu widerlegen, sprach man viel über die Kritiker und wenig über ihr Anliegen oder hüllte sich gleich in Schweigen.
Viel wurde gesagt über blaue Haare und den Skandal, dass YouTuber manchmal Geld verdienen (was natürlich bei klassischen Medien ganz und gar nicht der Fall ist, die existieren bekanntermaßen ohne jegliche ökonomische Motivation), über Schulpflicht und fehlende Kompetenzen.Wenn Christian Lindner davon sprach, dass Klimaschutz nur etwas für Profis sei, erinnerte das ein bisschen an „Lass das mal den Papa machen“ (danken Sie mir später für den Ohrwurm) und hatte wenig mit Dialog auf Augenhöhe zu tun.Politiker sprachen mit der jungen Wählergeneration wie die Supernanny mit einem Kind, das auf die stille Treppe gehört. Sie signalisierten politisch interessierten Bürgern unter 30, dass ihre Meinung für den Diskurs per se irrelevant sei – und bekamen bei der Europawahl eine erste Quittung dafür.
Die Wahlergebnisse insbesondere bei Wählern unter 30 haben ihre Ursache sicher nicht allein im Umgang der Politik mit deren kritischen Stimmen. Aber sie beweisen, dass die Teenager und Twentysomethings, die mit Plakaten zum Sterben des Internets und des Planeten in wachsender Wut durch die Innenstädte zogen, es tatsächlich ernst gemeint haben.Sie lassen sich nicht aus der Diskussion drängen, indem man sie an ihre Schulpflicht erinnert, sie als Bots oder gekauft verunglimpft. Sie verharren eher noch hartnäckiger auf ihren Positionen und wachsen zu einer Verteidigungsmauer zusammen, die irgendwann nicht mehr mit Argumenten zu durchdringen sein wird.
Ähnlich wie Bürgerinitiativen, deren Bereitschaft zu Gesprächen abnimmt, wenn man ihnen nicht auf Augenhöhe begegnet, werden diese Wähler den sogenannten Volksparteien künftig wahrscheinlich noch weniger Gehör schenken. Im Netz kursierte vor einigen Monaten ein Social Media Post, in dem es sinngemäß hieß, dass man sich nicht wundern müsste, wenn eine Generation, die mit Harry Potter, Katniss Everdeen (die Heldin von „Die Tribute von Panem“) und Superhelden-Epen aufgewachsen ist, plötzlich daran glaubt, die Welt verändern zu können. Und zu wollen. Jahrzehntelang ereiferte man sich allenthalben über die Politikverdrossenheit der „Jugend von heute“, aber jetzt, wo sie sich politisiert, signalisiert man ihr, dass ihre Beteiligung nicht erwünscht ist.
Eine Diskussion über die Positionen, Wünsche und Ängste der Jungwähler findet kaum statt. Es scheint vor allem in der CDU viel eher Einigkeit darüber zu herrschen, dass diese Positionen nicht von Bestand sein werden.Thomas Bareiß, Vorsitzender der CDU Württemberg-Hohenzollern und Mitglied des Bundesvorstands seiner Partei, ging sogar so weit zu twittern, die Erstwähler würden ihre Meinung spätestens dann ändern, wenn sie selbst Geld verdienen müssten.Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die Sachebene wurde gänzlich verlassen. Es gibt sie nicht mehr. Wenn aber keine Sachebene mehr existiert, verliert Kommunikation ihren Sinn. Wozu sollte man mit jemandem sprechen, der nicht zuhört?
Die CDU will jetzt eigene Influencer schaffen, die „diese jungen Leute“ überzeugen soll, anstatt selbst von ihrem Podest zu steigen und das offene Gespräch über Inhalte zu suchen. Ob dieser Versuch von Erfolg gekrönt sein wird, daran lässt sich zweifeln.Eine Lehre aber lässt sich aus der weiterhin anhaltenden Debatte ziehen: Wer über Gegner spricht statt mit ihnen, gießt Öl in deren Empörungsflamme. Das ist nicht nur schlecht für die Diskussionskultur, sondern auch für den CO2-Ausstoß und die eigene Reputation. Diese Lehre gilt nicht nur für politische Debatten. Wo immer Stakeholder sich nicht ernst genommen fühlen und man ihnen statt mit Argumenten mit Anschuldigungen oder Spott begegnet, werden sich die Fronten verhärten. Diskurs ist der Schmierstoff der Zahnräder einer Demokratie.
Aber eben nur dann, wenn aus Diskussion keine persönliche Fehde wird, in der die Beteiligten sich am Ende die Duellier-Handschuhe um die Ohren schlagen.Das nächste Mal, wenn Sie einer gegnerischen Position begegnen, die Ihnen selbst vielleicht absurd erscheint, halten Sie kurz inne und fragen sich, wie Sie diese Position mit Fakten widerlegen können. Blenden Sie Ihr Verhältnis zu Ihrem Gegner für einen Moment aus und bleiben Sie nur auf der Sachebene. Nehmen Sie nicht jede Einladung zum Streiten an. Und räumen Sie die Spülmaschine vielleicht einfach mal selbst aus, wenn es sein muss.