Zum neuen Jahr beginne ich mit einem erschreckenden Fazit aus 2019: „Jeder Zweite leidet unter Digitalisierung.“ So ließ es die Rheinische Post verlauten – und bezieht sich dabei auf eine Umfrage der Gewerkschaft IG BCE zum Thema Digitalisierung bei Chemie- und Energieunternehmen. Ganz abgesehen davon, dass die Digitalisierung jetzt schon mehrere Jahre unsere Gemüter „plagt“ und dabei in vielen Köpfen irgendwie nur wenig Erkenntnis zum allgegenwärtigen und doch diffusen Thema herrscht:
Der Vergleich mit einer Krankheit zeichnet ein besorgniserregendes Negativbild. Seit geraumer Zeit bestimmt die Digitalisierung den Arbeitsalltag von kleinen, mittelständischen und großen Unternehmen. Fast 50 Prozent von 14.000 befragten Mitarbeitern klagen über einen dichteren Arbeitsalltag. Und aus Sicht von Kommunikatoren ergibt sich eine noch schwerwiegendere Erkenntnis: Über die Hälfte der Befragten haben nicht einmal Ahnung von dem, was ihnen so viel Mehraufwand verschafft. 56 Prozent haben demnach kein klares Verständnis von der Digitalisierungsstrategie ihres Betriebes. Gerade bei einem so vielschichtigen, teils unübersichtlichen, vor allem aber zukunftsbestimmenden Thema sind das katastrophale Zahlen.
Warum katastrophal? Weil die Mitarbeiter die zunehmende Arbeitsdichte trotz Unwissen auffangen müssen. Weil das Team das Unternehmen extern repräsentiert – und sich seine Müdigkeit und negative Assoziation in der Außenwelt widerspiegelt. Und weil Veränderung und unternehmerische Entwicklung nur dann funktionieren können, wenn die eigene Mannschaft 100 Prozent geben kann – und will!
Dass gerade die Digitalisierung immer noch nicht in den Köpfen derer angekommen ist, die sie leben müssen, zeigt, dass Transformation oder Disruption gründlich daneben gehen können. Die Gründe dafür sind meist: zu wenig Information, zu wenig Transparenz, zu wenig Emotion. Jeder dieser drei Bausteine ist essenziell für ein ausgeglichenes und erfolgsversprechendes Unternehmensklima.
Zu oft wird davon lediglich gesprochen, aber nicht wirklich danach gehandelt. Ein Fakt, an dem es hapert: In hektischen Phasen und im Zuge schnell geforderter Reaktionen wird die Kommunikation stiefmütterlich behandelt. Frei nach dem Motto: „Erst mal machen – wir können später immer noch alle an Bord holen.“ Nur kann es sein, dass dann schon die meisten das Schiff verlassen haben. Gerade bei Zukunftsthemen keine freudige Prognose. Aber auch kein Wunder …
Axel Koch nennt es in seiner Abhandlung zum Thema Veränderung „Change mich am Arsch“, wenn „[…] Unternehmen und ihre Mitarbeiter sich selbst kaputtverändern […].“ „Gerade wussten Sie noch wo es langgeht, schon kommt wieder etwas Neues um die Ecke.“ Für Klarheit in Change-Prozessen braucht es also eine klare kommunikative Ausrichtung. Das ist genauso wichtig wie das Change Management. Denn die Mitarbeiter können sich die Strategie, die sich die Chefetage in tage- und nächtelangen Diskussionsrunden überlegt hat, nicht von jetzt auf gleich selbst aneignen. Geschweige denn überhaupt allein verstehen.
Weil irgendwie alles „Change“ ist. Weil „Change“ schnell zu einem Schwebezustand und daraus Orientierungslosigkeit wird. Weil der Sinn des Change auf halber Strecke verloren geht und keiner an ihn glaubt. Kurz gesagt: Man hat diesen Begriff ausgelutscht. Dafür sorgt nicht zuletzt eine immer schneller werdende Informations- und Diskussions-Kultur unserer Gesellschaft. Politiker, Journalisten, CEOs, Wettbewerber, Opinion-Leader, Klima-Aktivisten, Eltern von Grundschulkindern – sie alle haben zu der Art und Weise wie unsere Welt funktioniert oder eben nicht funktioniert, etwas beizutragen.
Auf Unternehmen kommen deshalb allein von außen massenhaft Strömungen zu, die Geschäftsbereiche, strategische Ausrichtungen oder Haltungen betreffen und in Anspruch nehmen. Dafür braucht es Antworten. Und dazu wiederum müssen Unternehmen und ihre Mitarbeiter überhaupt erst einmal wissen, WARUM eine Veränderung passiert, welcher Bestimmung sie dient.
Viele Unternehmen tun sich schwer damit, verständlich zu machen, warum sie sich neu ausrichten. Gute Change-Kommunikation kann Orientierungslosigkeit aber unterbinden. Sie sorgt dafür, dass Führungskräfte ihre leitende Rolle wahrnehmen und ausspielen können. Und dass die Mitarbeiter sowie weitere Stakeholder verstehen, warum die Veränderung passiert und nötig ist. Ein Sinn vor Augen, ein klares Verständnis der eigenen Aufgaben und der Glaube daran, dass die Veränderung funktioniert, wirken Wunder für die Motivation.
Das Management entscheidet, wo die Reise hingeht. Die Kommunikation sorgt dafür, dass die Belegschaft den Weg versteht und mitgeht. Im Idealfall zumindest. Wie im Fall der Digitalisierungsstrategie gilt für jede Veränderung: Sie muss nachvollziehbar sein, eine überzeugende Geschichte erzählen und einem starken inneren Antrieb folgen. Dann nervt Change auch nicht mehr so.