„Verdient Vertrauen, wer um Vertrauen wirbt?“, diese Frage beschäftigt mich seit Beginn meiner beruflichen Tätigkeit als Kommunikationsberater. Professor Christian Röglin, Sozialpsychologe, Buchautor und einer der profiliertesten Vordenker der angewandten Sozialpsychologie, hatte diese Frage schon zu Beginn der achtziger Jahre gestellt.
Das Ziel aller kommunikativer Aktivitäten von Unternehmen war es seit jeher, bei relevanten Gruppen Vertrauen in die Führung und die strategische Ausrichtung zu schaffen und dauerhaft zu sichern. Im Editorial der November-Ausgabe des PR-Magazins lass ich kürzlich aber, dass eben dieser Vertrauensbegriff – nach alter Deutung – ins Schwanken gerät. Hat Vertrauen als Wert in einer hochdigitalisierten Industriebgesellschaft überhaupt noch die Relevanz, die wir ihr zuschreiben, fragt Chefredakteur Thomas Rommerskirchen. Im Systemvergleich zwischen den demokratischen europäischen Ländern und Ländern wie China und den USA würde deutlich, dass die Begriffe Vertrauen und Glaubwürdigkeit offensichtlich nicht mehr so „en vogue“ seien, weil diese Länder in der mitunter rigiden Durchsetzung ihrer Interessen häufig erfolgreicher seien. Geht es nun also um Durchsetzung?
Immer mehr stellt sich die Frage, ob das große Vertrauensziel unter veränderten Bedingungen heute so noch Bestand hat. Vertrauen herstellen ist gewiss kein Softfact. Vielmehr, so meine Auffassung, dient es der Sicherung erfolgreicher Unternehmensentwicklung. Offen gesagt beschleicht mich jedoch immer mehr eine gewisse Skepsis, wenn in Management-Meetings mit Führungskräften lapidar über den Begriff Vertrauen gesprochen wird. Meinen wir wirklich das gleiche? Ich glaube nicht!
Vertrauen, so mein Eindruck, ist in einigen Führungs- und Chefetagen immer mehr ein notwendiges Übel. Und es wird mehr und mehr instrumentalisiert, um die wirtschaftlichen Vorgaben erreichen zu können. Dies ist nichts anderes als eine deutliche Annäherung an ausschließlich kapitalmarktorientierte Interessen. Vertrauen wird demnach nicht mehr verstanden als freiwillige Bereitschaft von Menschen, sich auf der Basis gesammelter Erfahrungen bestimmten Vorgaben, Verhaltensweisen und Richtungen anzuschließen. Vielmehr bestimmen absichtsvolle, taktische Motive die Kommunikation und die Gestaltung von Beziehungen innerhalb einer Organisation und nach außen. Es wird den Menschen dabei zu wenig zugetraut, zu erkennen und zu verstehen, dass es Wettbewerb gibt, dass es globale Märkte gibt, dass Kosten woanders niedriger sind.
Das alles sollte aber frühzeitig und unmissverständlich gesagt und erklärt werden. Davor aber scheuen sich viele in den Chefetagen. Die Kommunikation muss hier aufpassen, um nicht Handlanger einer interessensgesteuerten Unternehmenspolitik zu werden, sondern Ausgleich schaffen zwischen unterschiedlichen Interessen und Anspruchsgruppen. Nur so kann aus meiner Sicht Kommunikation zum Gelingen einer erfolgreichen Unternehmensführung beitragen.Was ich allerdings vermehrt im letzten Quartal des Jahres– insbesondere in den letzten Tagen – beobachte, sind fragwürdige Pläne, die mit gravierenden kritischen Konsequenzen für die Belegschaft verbunden sind. Ich spreche von Restrukturierungen, Ausgliederung von Unternehmensteilen sowie Kostenprogrammen zulasten der Belegschaft. Geschichten allesamt mit Schicksalen.
Immer mehr werden wir mit der Frage konfrontiert, ob es nicht taktisch geschickt sei, bei Personalveränderungen möglichst kurz vor Weihnachten zu kommunizieren, weil Medien und Öffentlichkeit im Weihnachtstrubel von derlei Entwicklungen gar nichts mitbekommen. Ich frage mich in diesen Fällen ernsthaft ob – und diese Bemerkung sei erlaubt - manche Führung noch „alle Tassen im Schrank“ hat!Solch gravierende Themen taktisch zu spielen und dabei die Erwartung haben, „unter dem Radar zu fliegen“ bzw. weniger kritische Berichterstattung zu provozieren, lässt jegliche Bodenhaftung vermissen. Vielleicht dient hier dem einen oder anderen Manager Ebenezer Scrooge aus der Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens als Vorbild! Lassen wir es nicht zu, dass das, was auf der politischen Weltbühne von Trump und Konsorten als politische „Kultur“ vorgelebt wird, auch zunehmend Einzug in die Führungskultur von Unternehmen hält.
Die Beobachtung derartiger „Durchsetzungskommunikation“ trifft im Übrigen nicht allein auf börsennotierten Unternehmen zu. Auch einige mittelständische Betriebe haben ähnliche Ambitionen. Die Kommunikation sollte in diesem Fall dem Management selbstbewusst die Konsequenzen ihres Handelns deutlich machen und die berufliche Zukunft des Managers an die zu erwartende kritische Kommentierung seiner Person knüpfen. Zum anderen braucht es einen Plan mit dem Ziel, Vertrauen dauerhaft zu schaffen und damit die Grundlage dafür zu legen, dass kritische Entwicklungen auch das notwendige „Handling“ benötigen, um nicht die gesamte Existenz des Unternehmens zu gefährden. Merke: Vertrauen ist kein Trendbegriff, oder ein verhandelbares Gut! Es ist die Grundlage von allem!
Der Fokus der Überzeugungsarbeit der Kommunikationsverantwortlichen sollte daher nicht unmittelbar nach außen gerichtet sein, sondern zuerst die Kommunikation nach innen und zwar in Richtung Führungskräfte im Blick haben. Das Ziel lautet: Vertrauen gehört wieder zurück in die Unternehmens-DNA. Denn kritische Entwicklungen können nur dann überwunden werden, wenn vorher schon Vertrauen in die handelnden Personen existiert. Für Nebelkerzen, Verschleierung oder Salamitaktik sollten sich weder Unternehmenskommunikatoren noch Berater hergeben. Dann doch lieber höflich zum Abschied den Hut lüften, ein „Bon Chance!“ zurufen und aufrechten Ganges den Raum verlassen. Ein sich seiner Selbstachtung verpflichteter Berater darf so etwas.