Das Akronym ESG (Environmental, Social and Governance) ist zum strategischen Gradmesser geworden – nur, wer in diesen Kategorien brilliert, kann Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und eine dauerhafte „Licence to operate“ sichern. Der öffentliche Fokus liegt dabei vor allem auf umweltbezogenen Themen, da Klimawandel und fortschreitende Erderwärmung nachdrücklich zum Handeln zwingen.
Nicht verwunderlich also, dass die mediale Aufmerksamkeit in Deutschland auf das große E gerichtet ist. Wie eine Analyse von Cision belegt, beschäftigten sich im ersten Halbjahr 2023 ganze 70 Prozent der Beiträge zu ESG-Themen in klassischen und sozialen Medien mit Klima und Co. und nur 28 Prozent mit Sozialaspekten. Mit Blick auf die eigene Kommunikation der DAX-Unternehmen in den sozialen Medien zeigt sich die Dominanz der Ökologie noch deutlicher: 91 Prozent der Beiträge drehen sich um Umweltthemen, lediglich 8 Prozent um Sozialbelange. Der Mensch und sein Wohlbefinden scheinen ihren Platz in der Nachhaltigkeitskommunikation noch nicht ganz gefunden zu haben. Welche Facetten hält dieses Thema also bereit?
Herausforderungen entlang der Lieferkette
Gesundheitsschutz, die Achtung der Menschenrechte oder das Verbot von Kinderarbeit sind in vielen Ländern keine Selbstverständlichkeit. Deutsche Unternehmen sehen sich hier spätestens seit der Einführung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass Zulieferfirmen ihrer Wertschöpfungskette die Menschenrechte achten.
Mit der einhergehenden Berichtspflicht ist auch die Kommunikation gefordert. Dabei sollte nicht nur die gesetzliche Jahresauskunft erfüllt, sondern das Thema auch aktiv in die regelmäßige ESG-Kommunikation aufgenommen werden. Transparenz über die Lieferkette schafft Vertrauen bei allen Zielgruppen – von Partner:innen über Kund:innen bis hin zu Investor:innen, während die sorgfältige Auswahl von Zulieferfirmen und eine aktive Unterstützung vor Ort die Reputation des Unternehmens stärken.
Gleichberechtigung im Fokus
Nimmt man hingegen die rein nationale Perspektive ein, stehen ganz andere soziale Themen auf der Agenda. Als industrialisiertes Land stehen in Deutschland andere Aspekte wie faire Löhne, Diversität oder Antidiskriminierung im Fokus der Diskussion. Die Kommunikation kann hier häufig aus dem Vollen schöpfen – haben doch viele Unternehmen Mitarbeitenden-Initiativen, die sich für die Bedürfnisse verschiedener Gruppen einsetzen und deren Arbeit gewürdigt werden sollte. Die Fortschritte in der sozialen Nachhaltigkeit können auch zur Positionierung als offene:r Arbeitgeber:in mit einer von Respekt und Wertschätzung geprägten Unternehmenskultur dienen.
„Whataboutism“ ist nicht die Lösung
Die Kommunikation über Sozialthemen bewegt sich durch die unterschiedliche Entwicklung in Industriestaaten und entlang der Lieferkette zwischen den Extremen und sollte daher eine klare Trennung der Themen vornehmen. Denn die argumentative Killerfrage „Haben wir keine größeren Probleme?“ scheint sonst berechtigt – kann doch die Gefährdung eines Menschenlebens nicht auf eine Ebene mit der Kritik an einer männerdominierten Führungsebene gestellt werden. „Whataboutism“ bringt an dieser Stelle aber niemanden weiter, am allerwenigsten die Menschen, die von Leid, Rassismus und Unterdrückung betroffen sind. Die Kommunikation muss daher deutlich machen, dass beiden Bereichen die nötige Aufmerksamkeit gewidmet wird und auch Deutschland nicht auf einem schon sehr guten Status quo verharren darf, sondern noch Arbeit vor sich hat.
Die soziale Nachhaltigkeit ist damit ein vielseitiger und ebenso bedeutender ESG-Bereich, der kein kommunikatives Randthema sein darf. Viele Unternehmen sind hier bereits aktiv und sollten den Mut fassen, sich dem Balanceakt zwischen globaler und nationaler Perspektive zu stellen.
Und was ist mit dem G?
Während ökologische und soziale Nachhaltigkeit zunehmend Raum in der Kommunikation einnehmen, wirkt Governance als steuernde Instanz im Hintergrund. Die gute Unternehmensführung als drittes Thema im Bunde macht die Umsetzung sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit erst möglich. Die Kommunikation dieser beiden Dimensionen umfasst daher oft auch Governance-Aspekte. Ein möglicher Grund, warum Governance allein sowohl in der Mediendiskussion als auch in der unternehmenseigenen Social-Media-Kommunikation die Drei-Prozent-Hürde aktuell nicht überwinden kann.